Wir bilden die Arbeitslosen von morgen aus!

Wir bilden die Arbeitslosen von morgen aus!
30 Jun 2019

 

„Es passiert etwas und es wird auch Zeit – wir bilden mit unseren Berufen die Arbeitslosen von morgen aus und müssen uns um 180 Grad drehen“. Diese Aussage hörte ich im Gespräch mit der Personalvorständin in einem großen Unternehmen, mit der ich mich über die betriebliche Ausbildung in der Firma unterhalten habe.

Ein Ausbildungsleiter, der mehr als 20 Jahre im Unternehmen die Ausbildung gemanagt hatte und als sehr erfahren galt, verließ nun das Unternehmen. Wir wurden nun beauftragt, eine Ist-Analyse der Ausbildung zu erstellen und die Ergebnisse schonungslos und offen als Diskussionsgrundlage darzustellen.

Die Ergebnisse waren für die Beteiligen hart, da doch viel im Argen lag. Der ehemalige Ausbildungsleiter hatte sich auf den Erfolgen der letzten Jahre ausgeruht und nur noch an seiner internationalen Karriere gearbeitet und viel Zeit im Ausland verbracht. Die Ausbildung in Deutschland lief so vor sich hin- aber wurde nicht mehr hinterfragt, umorganisiert und an die veränderten Zeiten und Anforderungen angepasst.

 

Was ein Problem ist, ist eine Frage der Perspektive

Probleme der Ausbildung wahrzunehmen heißt, eine gedankliche Differenz aufzumachen zwischen dem Jetzt und der gewünschten möglichen Zukunft. Klar haben alle Ausbilder ca. 95 % der Azubis und Studenten durch die Prüfung gebracht. Klar gab es Jahrgangsbeste und Belobigungen, die Übernahmequote betrug auch 80% und die jährliche Befragung der Azubis über deren Zufriedenheit mit der Ausbildung konnte sich sehen lassen – das waren also keine wirklichen Probleme.

 

Was wollen wir erreichen? Was macht uns einzigartig in der Ausbildung? Was rechtfertigt die großen Investitionen und jährlichen Budgets für die Ausstattung der Werkstätten, Softwarelizenzen, die Personalkosten usw.? Das ist eine zentrale Fragestellung für die Ausbildung und diese Frage bearbeiteten wir mit der Personalleitung und der neuen Ausbildungsleitung, um dann die ca. 130 hauptamtlichen Ausbilder mit auf den Weg einer drastischen Veränderung zu nehmen.

 

Bei vielen Prozesse in der Ausbildung erkannten wir akuten Handlungsbedarf und konnten nach verschiedenen Workshops zunächst 3 wichtige Handlungsfelder identifizieren.

 

Strategische Ausbildungsplanung

Das Portfolio an 23 verschiedenen Berufen stellten wir auf den Prüfstand und glichen diesen mit den Bedarfen des Unternehmens ab. Wir führten Interviews mit den Führungskräften wie Werksleiter, Produktionsleiter, Vertriebsleiter und konnten mit einem strukturierten Interview die Ergebnisse gut auswerten und Rückschlüsse daraus ziehen. Bei Begehungen vor Ort in der Produktion verschafften wir uns einen Überblick über gängige Technologien und glichen diese mit den internen Lehrgängen und den Rahmenlehrplänen ab. Wir prüften die Vision und Strategie des Unternehmens und verglichen sie mit den Visionen und der Strategie der Ausbildung – hierbei mussten wir feststellen, dass eine Anpassung der Ausbildung an die Firmenstrategie die letzten 5 Jahre nicht erfolgte. Es wurden z.B. noch Berufe wie Kaufleute für Büromanagement, Industriemechaniker, Lackierer und Sattler ausgebildet. Nachdem wir die strategische Ausbildungsplanung besprochen und neu ausgerichtet hatten, wurde die Tragweite der Veränderung sichtbar und die nötigen Schritte definiert. Von 23 Berufen sind 16 übriggeblieben und 3 neue Berufe sind hinzugekommen. Kaufleute für Büromanagement (bisher je 25 Azubis pro Jahr) werden wie Industriemechaniker (bisher 60 Azubis pro Jahr) ab 2019 nicht mehr ausgebildet. Die 5 dualen Studiengänge wurden um weitere 3 Studiengänge erweitert und der Fokus liegt ganz klar auf Studiengängen mit IT-Hintergrund. Die Ausbildungszahlen wurden auch angepasst und so werden nun nur noch 2 Sattler, 10 Industriekaufleute und 50 Mechatroniker ausgebildet- was eine Reduktion zwischen 30 – 50% bedeutet. Andere Ausbildungsberufe wurden teilweise drastisch aufgestockt, wie z.B. die Elektroniker für Automatisierungstechnik von 10 auf 40 Azubis pro Jahr.

 

Upskilling der Ausbilder

Welche Kompetenzen benötigen Ausbilder? Wie nehmen wir die Ausbilder mit? Wie gelingt uns ein Mind-Change in den Köpfen der Ausbilder? Wie gehen wir mit Widerständen in der Ausbildermannschaft um? Diese Fragen bearbeiteten wir im Prozessschritt „Qualifizierung der Ausbilder“ und dieser nahm und nimmt viel Raum ein. In einer Umfrage unter den Ausbildern erhoben wir Daten zu aktuellem Wissen, zu Methoden der Bildung, zum Thema Werte und Normen der Ausbildung, zu externen und internen Einflüssen auf die Ausbildung und machten spannende Erfahrungen. Die Ausbilder waren sehr überzeugt davon, dass sie eine gute und zeitgemäße Ausbildung durchführen und auf dem aktuellen Stand seien. Konfrontiert mit neuen Technologien und Entwicklungen, wie Supra-Leiter, Totally Integrated Automation Portal (TIA Portal), SAP PM, Hochvolttechnologie, vorausschauende Instandhaltung, Learning Analytics, Blended Learning in der Ausbildung, Office 365 mit Teams und One Note stellten viele fest, dass aktuelles Wissen fehlt und ein Upskilling unbedingt nötig ist. Interessant war auch die Überlegung, dass Ausbilder in der Regel gar keinen Kundenkontakt haben und daher auch nicht wissen, welche neuen Anforderungen die Kunden an die Ausbildung stellen. Wir haben daraufhin eine Ausbilderakademie im Unternehmen aufgebaut und eine Qualifizierungsmatrix erstellt. Zeitgleich haben wir überlegt, wie ein Upskilling organisatorisch zu stemmen ist, da die Ausbilder eine hohe Betreuungsquote erfüllen und im täglichen Geschäft wenig Zeit für die eigenen Entwicklung bleibt. Die Lösung sieht so aus, dass wir in der Ausbilderakademie auf kurze Schulungssequenzen setzen und die Ausbilder Zeit bekommen, um das Gelernte in der Ausbildungspraxis zu testen, anzuwenden und dann in Prozesse und Strukturen überführen können. Wir setzen selbstverständlich auf Blended Learning Lernpfade und Webinare und der Austausch in Teams gehört mit dazu. Alle Ausbilder konnten wir bisher noch nicht mitnehmen und 4 Ausbilder hatten sich innerhalb des Konzerns auch umorientiert, da sie die Veränderungen nicht mitgehen wollten und konnten.

 

Recruiting

Das Ausbildungsmarketing und das Recruiting der letzten Jahre war durch immer höhere Kosten und hohen zeitlichen Ressourceneinsatz geprägt. In der Portfolioanalyse der Werkzeuge im Ausbildungsmarketing fiel z.B. auf, dass man bundesweit auf 17 Ausbildungsmessen unterwegs war und der Erfolg dieser Messen nicht gemessen wurde und damit kein Erfolgscontrolling möglich war. Es wurden zahlreiche Instrumente wie Kinowerbung, Werbung in öffentlichen Verkehrsmitteln, Zeitungsanzeigen, Bespielen von online Ausbildungsbörsen, Tag der offenen Tür durchgeführt und veranstaltet- jedoch ging die Bewerberzahlen seit 5 Jahren um 43% über alle Berufe hinweg zurück. Die Antwort auf diese Entwicklung spiegelt sich darin, dass noch mehr in Messen, Anzeigen, Aufkleber, Castings investiert wurde und der Erfolg bis heute ausbleibt.

Einen Schritt, den wir nun vollzogen haben, war der, dass wir die Praktikumsplätze von 600 auf 1100 Plätze pro Jahr erhöht haben (das Unternehmen hat 5 große Standorte in Deutschland). Zeitgleich wurde die Entscheidung getroffen auf 12 Ausbildungsmessen zu verzichten.

 

Den Recruitingprozess hatten wir auch untersucht und dabei festgestellt, dass die durchschnittliche Bearbeitungsdauer bis zur Besetzung eines Ausbildungsplatzes 4 Monate! betrug. Den Prozess haben wir überarbeitet, arbeiten nun mit Online-Eignungstests, Skype Interviews und verzichten z.B. komplett auf ACs, die laut aktuellen Studien wenig Aussagekraft beinhalten. Wir konnten den Recruitingprozess auf 3 Wochen reduzieren und einen sauber definierten Onboardingprozess mit vielen Bindungsinstrumenten bis zum Ausbildungsbeginn implementieren.

 

Ausbildung der zwei Geschwindigkeiten

Was gestern in der Ausbildung noch funktioniert hat und richtig war, ist heute schon wieder veraltet oder sogar falsch. Es wird eine Kernkompetenz der Ausbildung werden, früher und schneller die Bedürfnisse der Kunden zu verstehen und Lösungen anzubieten. Ausbildung beschleunigt sich massiv und passt sich an und wenn sie es nicht tut, wird die Ausbildung in den Unternehmen weiter massiv in Frage gestellt!

 

Diskutieren Sie mit mir über die aktuellen Entwicklungen in der Ausbildung und schreiben Sie mich gern an: j.buschbacher@clc-learning.de

 

 

 

Links zum Thema:

https://www.bibb.de/de/pressemitteilung_79044.php

https://www.netzwerk-digitale-bildung.de/information/arbeitswelt/wie-die-digitalisierung-ausbildungen-veraendert/

https://www.dgb.de/themen/++co++fc045b2a-ac4c-11e8-84bd-52540088cada

 

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